Diese Leitlinien waren eine Vorlage bei der Stadtverordnetenversammlung am 19. März 2015. Viel diskutiert und von der Koalition überschwänglich gelobt, geradezu ein Aufbruch zu neuen, strahlenden Demokratieufern. Was uns anbetrifft, wir sind für Ortsbeiräte statt der Beteiligung à la Leitlinien. Ortsbeiräte sind eine demokratisch legitimierte und bewährte Form der Bürgerbeteiligung in Stadtteilen. Bevor Sie jedoch, geneigte Leser, diesen Artikel durchstöbern, sollten Sie unbedingt die Leitlinien durchlesen – viel Spaß dabei.
Bürgerbeteiligung gehört sicher auch zur repräsentativen Demokratie, mit welchem Anspruch auf Beachtung und in welcher Qualität durchsetzbar ist eine ganz andere Frage.
Die „Runden Tische“ und die Bürgerbeteiligungsmodelle sprießen allüberall wie die Pilze im feuchten Herbstwald. Entdeckt und forciert haben diesen lukrativen „Markt“ natürlich längst professionelle Berater – und Beraterinnen. Landauf landab gibt es Angebote an die Kommunen in Sachen Mithilfe bei der Strukturierung dieser Beteiligungsformen inklusive deren Mediation.
Ein Wundermittel gegen die Politiker(innen)verdrossenheit und Wahlmüdigkeit ist dieses Beteiligungsmodell sicher nicht. Auch ist der Beweis, dass diese Art von „Basisdemokratie“ zu besseren Ergebnissen führt, noch nicht geführt.
Fatal wäre es, aber möglicherweise wird die Bürgerbeteiligung als Wundermittel für stets „richtige“ Entscheidungen gesehen. Also eine konfliktfreie neue Welt, in der kein Politiker und keine Politikerin mehr etwas falsch machen kann weil bürgerbeteiligt abgesegnet und genehmigt?
Inwieweit bei dem Bürgerengagement aber Filz, Cliquen, Netzwerke mit Partikularinteressen möglicherweise mitgemischt haben, wer kontrolliert, hinterfragt das?
Die hier vorliegenden Leitlinien sind sicher gut gemeint und in besten Absichten erstellt. In dieser Form aber kaum praktikabel wegen Überfrachtung mit Ablaufformen und Verfahren. Sie sind schlicht zu kompliziert und dürften der Verwaltung noch mehr als nur Kopfzerbrechen machen werden.
„Den Hund zum Jagen tragen müssen“ – d.h. den Bürger aktiv in die Beteiligungsprozesse einbinden zu sollen – das dürfte der Verwaltung auch noch so einiges abverlangen.
Einfach nur so wie zuvor Veranstaltungen wie „runder Tisch“, „Workshop“ „Zukunftswerkstatt“ „Bürgerversammlung“ anzubieten genügt anscheinend längst nicht mehr. Heute braucht es dazu selbstverständlich inklusive Einladungsformen mit aufsuchender Beteiligung, notwendig sind barrierefreie Räumlichkeiten mit angenehmer Atmosphäre und gendergerechten Regularien bis hin zur leichten Sprache.
Selbstverständlich danach mit akribischer Dokumentation und Evaluation.
So wie wir hier die Leitlinien Bürger und Bürgerinnenbeteiligung organisieren wollen, scheint mir vieles reines Wunschdenken zu sein und jenseits der Praktikabilität. Aber, lassen wir uns mal überraschen. Trotz größter Bedenken haben wir uns bei dieser Vorlage enthalten, um dieser Art Bürgerbeteiligung trotz unserer Bedenken die Chance auf einen Praxistest zu geben.
Sicher ist, das alles bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Partizipation und Manipulation. Die Verwaltung und die Stadtoberen haben sicher in den meisten Fällen mehr Fachwissen und mehr rhetorisches Geschick als die Bürger(innen).
Der kognitiven Überforderung und der mangelnden Expertise der Bürger/-innen soll indes durch „einfache Sprache“ und Wissensvermittlung begegnet werden.
Aber ist das realistisch? In der Praxis dürfte der Wille zur Durchsetzung der eigenen Position größer sein als dem Anspruch auf ausgewogene Argumentation und mühevoller Vermittlung von Hintergrundwissen gerecht zu werden.
Jeder darf mitreden, ohne Kompetenz oder wenigstens Wähler-Vertrauen zu haben und ohne Verantwortung zu übernehmen. Die Frage nach der Legitimität der dort agierenden Bürger stellt sich spätestens dann, wenn die Kommunalpolitik sich dieser Voten als Argumentation für ein Für oder Wider bedient. Das wäre an sich nicht so problematisch, wenn die Entscheidung samt Verantwortung eindeutig bei den Gewählten bliebe und die Bürgermeinungen nicht als Alibi genutzt werden könnten. Gerade bei Prozessen, die sich später als falsch herausstellen, wird es zwangsläufig nicht ausbleiben können, dass die Fehlentscheidung mit dem Mehrheits-Bürgerwillen bei der und der damaligen Versammlung entschuldigt wird. Das wäre dann die Umstellung von einer vorsorgeorientierter Politik auf eine Politik nach dem größtmöglichen Zustimmungsprinzip. Wobei wir dann doch sehr nahe an einer rein populistischen Politik wären.
Und diese Gefahr ist sehr groß, wollen doch die Entscheidungsträger wieder gewählt werden.
Zugleich werden diese Bürgerbeteiligungsforen sicher zum idealen Tummelplatz für Kommunalpolitiker, um dort medienwirksame Auftritte zu generieren. Müssten da nicht die Stadtteilforen, Stadtteilvereine zwangsläufig ohne Stadtverordnete besetzt werden? Ist der Stadtverordnete sonst nicht zweifach gremienmäßig vertreten und sozusagen doppelt so „mächtig“ wie der „gemeine Bürger“ oder ein „Nur-Stadtverordneter“?
Und eigentlich – wenn wir so viel Bürgerbeteiligung wollen – müsste unser politisches System nicht vollkommen geändert werden? Sprich eine Art Räterepublik oder zumindest das imperative Mandat wäre doch konsequenterweise wieder einzuführen. Aber das wäre eine grundsätzlich neue, staatsphilosophische Debatte, die aber durchaus geführt werden könnte.